© Dark Wulf
Schreiend fuhr sie hoch und Angstschweiß rann ihr über das fahle Gesicht. Schnell sah sie nach ihrem Sohn und ihre Blicke fanden ein leeres Lager vor. Panisch nahm sie den scharfkantigen Stein in ihre verkrampften Hände und sah sich in der kleinen Höhle um, die bis auf eine erloschene Feuerstelle und ein paar Felle leer da lag. Ihr Atem ging pfeifend und sie taumelte zum Höhleneingang.
Draußen lag der Schnee fast Kniehoch und sie musste sich durch dieses eisige Hindernis kämpfen. Als das Gelände abschüssiger wurde konnte sie nur noch schwach die Spuren der anderen ausmachen. Diese hatten ihre Spuren mit Tannenzweigen gut verwischt aber aufgrund von Zeitnot nicht gründlich daran gearbeitet. So schnell sie konnte folgte sie den Spuren und rannte bis ihre Lungen brannten.
Dann hörte sie Schreie aus einem kleinen Tannenwald auf den sie umgehend zuhielt. Sie schlug mit ihren Armen wild die Äste der Tannenbäume bei Seite und stürzte fast über eine dicke Wurzel, die sie im Schnee fast übersehen hätte. Nochmals hörte sie ihren Sohn verzweifelt rufen.
In diesem Moment rutschte sie einen kleinen Abhang hinab und sah zwischen mehreren großen Felsbrocken ihren Sohn liegen, der von mehreren Personen umringt wurde. Es waren die Mitglieder der eigenen Sippe die ihren Sohn festhielten, während der Alte wilde Gestiken praktizierte und dabei das Messer senkrecht vor sich hielt.
Sie hatten begonnen ihn rituell zu opfern und schon bald würde der Höhepunkt des grausamen Rituals kommen. Sihe schluchzte und brach einen Ast ab, den sie als Waffe verwenden konnte. Die Sippe hatte sie noch nicht bemerkt und so warf sie den Stein genau gegen den Kopf einer Sammlerin, die eben noch neben Jarus gekniet hatte, aber durch den Treffer zusammenbrach.
Dies lenkte die Aufmerksamkeit der übrigen Beteiligten auf Beja. Allerdings blieben der Alte und einer der Männer bei ihrem Sohn um das Ritual nicht zu unterbrechen. Die übrigen stürmten heran und ein Speer wurde nach ihr geworfen, der sie nur knapp verfehlte. Sihe Beja duckte sich hinter einem der größeren Felsen und nahm den Ast in beide Hände.
Die anderen kamen gerade in Sichtweite und Sihe stellte fest, das einer der Verfolger fehlte. Diesen erkannte sie zu spät, stand jetzt auf dem Felsen und sprang sie mit einem Steinmesser bewaffnet, an. Durch die Wucht des Aufpralls wurde sie zur Seite geworfen und von der wütenden Meute umringt. Einer der Frauen rief >> Seht nur sie hat sich das Bein gebrochen ! <<
Bevor Sihe dies verneinen konnte kam einer der Männer mit einem großen Geröllklumpen daher und zertrümmerte ihr Schienbein. Dann packte sie die Menge und schleppte sie zu dem Opferplatz, wo sie zu Boden geworfen und mit einem Hieb auf ihren Hinterkopf bewusstlos geschlagen wurde. Der Älteste sah kurz zu seiner Sippe hinüber und befahl dieser Sihe zu fesseln und sie unter einer der Tannen abzulegen.
Kurz danach beendete er seinen Choral und ließ seine Klinge in den Bauch des Jungen nieder fahren, der dabei leise aufschrie. Blut quoll aus der klaffenden Wunde und Jarus jammerte erbärmlich. Er fing an zu weinen und sah, wie der alte Mann erneut seinen Dolch erhob. In diesem Moment fühlte Jarus eine innere Wärme, die langsam in ihm aufstieg. Kurz bevor der Sippenführer ihn nochmals mit der Klinge traf durchzuckte ein heftiger Schmerz Crais Körper, der ihm fast die Sinne raubte.
Neben ihm fielen gerade Schneeflocken auf das harte, kalte Kopfsteinpflaster, auf dem er röchelnd lag. Dann stoppte jemand seinen Lauf und stand nun neben ihm. Klirrende Geräusche gingen von dieser Person aus, die er noch nie zuvor gehört hatte. Auch die anderen Laute kannte er nicht und sie erschreckten und faszinierten ihn zugleich. Als sich seine Sinne wieder geschärft hatten, fanden seine Blicke einen merkwürdig gekleideten Mann, der einen Vollbart trug und in ein merkwürdig glänzendes Material gekleidet war.
>> Was machst du hier ? wollte der bärtige von ihm wissen. >> Ich bin … mir nicht … << >> Steh auf ! << wurde er aufgefordert. Als er der sich willig erhob, stellte er verblüfft fest, das seine Wunde am Bauch verschwunden war und eine lange Narbe zurück geblieben war, die nicht schmerzte. >> Geh´ nach Hause ! << befahl ihm jetzt der Mann schroff.
Erst jetzt bemerkte Jarus Crai die große Stange an der etwas langes, glänzendes befestigt war, scharf aussah und mit der die Person vor ihm in eine Richtung wedelte. Verängstigt rannte Jarus so schnell er konnte in diese und kam dabei immer wieder an abstrakten Felsen vorbei, die man offenbar behauen hatte um ihnen eine bestimmte Form zu geben, da sie alle ähnlich aussahen.
Auf diese waren große und kleine Platten in absurdem Winkel angebracht worden. Überhaupt alles hier ergab für ihn keinen Sinn. Die Leute an denen er vorbei lief hatten eigenartige Felle in allen möglichen Farben an und manche von ihnen trugen auch kleinere auf ihren Köpfen.
Immer wieder konnte er auch Personen in diesem glänzenden Zeug ausmachen, die steif daher wankten oder herum standen als ob sie nach irgend etwas suchten. Beinahe wäre er in eine Frau gelaufen, die ebenfalls da stand und sich gerade umgedreht hatte. Erschrocken sah sie ihn an. >> Vorsicht mein kleiner. << sagte sie in einem beruhigendem Tonfall. Jarus wagte es nicht weiter zu gehen.
Er war wie gelähmt und ohnehin verwirrt. >> Was hast du denn ? << wurde er gefragt doch brachte er weiterhin keinen Ton hinaus. Die Frau kniete sich vor ihm nieder und ließ ihn dabei keinen Moment aus den Augen. >> Kann ich dir helfen ? << Der verstörte Junge schaute sie stumm eine Weile lang an und schüttelte dann den Kopf. Dann griff sie in ihre Kleidung und nahm einer seiner Hände in die ihre.
Langsam öffnete sie seine Hand und legte etwas glänzendes in sie hinein. Er ließ dies alles Widerstandslos zu und schloss seine Hand wenig später. Darauf hin strich sie sanft über seinen Kopf und verabschiedete sich von ihm. Ungläubig schaute er ihr hinterher als sie sich von ihm entfernte und bald aus seinem Blickfeld verschwand.
Nach einiger Zeit betrachtete er sich das glänzende Objekt genauer und sah, das die Oberfläche nicht glatt war, sondern Einbuchtungen aufwies und auch Linien diese überzogen. Als er den oval geformten Gegenstand wendete erschien auf dessen Rückseite das Seitenprofil einer Person, die ihm genauso wenig bekannt war, wie alle anderen Leute hier.
Jarus verbarg ihn unter seiner Kleidung und wandelte weiter durch diese ihm unbekannte Welt. Das einzigste was ihm wirklich vertraut war waren die wenigen Tannen, die er nun hinter einigen Holzpfählen erspäte die vom herabfallenden Schnee immer weiter bedeckt wurden. Es war eine Weile vergangen und ein junger, hagerer Mann verließ einen der Felsen, der hinter den Tannen lag und sah jetzt zu ihm hinüber.
Crai umfasste einen der Pfähle und duckte sich leicht dabei. Der Unbekannte hatte ihn jedoch ausgemacht und schritt weiter in seine Richtung. Jarus hielt inne und musterte den Fremden argwöhnisch. >> Hallo ? << rief der Mann mit einer ungewohnt hohen Stimme. Prompt erwiderte Jarus Crai >> Wo ist Mutter ? <<
>> Das weiß ich nicht. << entgegete er Crai als er an der Grenze angekommen war, die beide voneinander trennte. Der unbekannte Mann ging ein wenig in die Hocke und lugte zwischen den dicht aneinander stehenden Holzgebilden vorbei um den kleinen Jungen besser sehen zu können, der ihm so erschien als ob er aus einer völlig anderen Welt stammte. >> Wie heisst deine M … . << >> Was habt ihr mit ihr gemacht ? << schrie der kleine Junge zornig und ballte dabei seine Fäuste.
>> Ich kann dir leider nur eine Frage nach der anderen beantworten. << versuchte er dem Jungen zu versichern, dem die Zornesröte im Gesicht stand. >> Dann antworte mir ! << polterte Crai rasend. >> Ich kann dir darüber keine Auskunft geben und du solltest dich beruhigen, wenn du noch weiter mit mir reden willst ! << raunte der junge Mann ihm entgegen.
Jarus Crai verstummte und ein dumpfes Gefühl beschlich ihn. Hatten Sie sie umgebracht ? Was war überhaupt geschehen ? >> Wenn du willst helfe ich dir deine Mutter zu finden. << bot der Fremde ihm entgegenkommend an. >> Dann hilf mir … bitte. << Der Mann nickte kurz und ging zu einer Stelle an der die Pfähle von einem schimmernden Holzviereck unterbrochen wurden.
Es war an zwei Stellen an einem der Pfähle irgendwie befestigt und schwang nach außen, so dass der Unbekannte die geschaffene Grenze durchbrechen konnte. Kurze Zeit später stand jener unbekannte Mann vor Jarus Crai und beide reichten sich nur zögerlich die Hände zum Gruß. >> Mein Name ist Fenrich Weimar., wie lautet dein Name ? <<
>> Ich bin … Jarus Crai . << antwortete der Junge bedacht. >> Welchen Namen trägt deine Mutter und wo hast du sie das letzte Mal gesehen ? << >> Ihr Name ist Sihe Beja und sie wurde von unserer Sippe angegriffen ! << >> Dies geschah auf der kleinen Lichtung im Tannenwald, den man durch das ewige Eis erreichen kann. << klärte Jarus den nun verwunderten Fenrich auf.
>> Bist du dir sicher ? Denn der Winter dauert nicht mehr lange und deine Ortsbezeichnung ist mir nicht geläufig. << >> Ich bin mir absolut sicher ! Wo bin ich hier ? << sagte Jarus trotzig. >> Du bist hier in einem Ort namens Frankfurt. << >> Ich bin was ? << Crais Gesicht wurde bleich und seine Knie fingen an zu zittern.
Weimar schaute verdutzt und konnte beim besten Willen nicht feststellen woher der Junge kommen mochte und weshalb er diese urtümliche Kleidung trug. Vielleicht hatte er einen Künstler getroffen, der sich für seine Auftritte in eine merkwürdige Maskerade warf ? Was hatte ihn so aus der Fassung gebracht ? >> Wie heisst deine … Sippe ? << versuchte Fenrich weiter zu erfahren. >> Wir nennen uns die Eisjäger des Lichtes.
>> Ist das ein ernannter Adelstitel ? << >> Was ist Adesti ? << Fenrich Weimar konnte es glauben. Was hatte man mit diesem Jungen angestellt ? War es ein Vollwaise der abseits der normalen Welt lebte ? Weimar wollte es genauer wissen. >> Was ist zwei mal zwei ? >> Etwas mehr . << beantwortete Crai.
>> Unfassbar ! << platzte es aus Fenrich heraus. Jetzt bemerkte er das der Kleine von Schmutz gerade zu überzogen war. >> Möchtest du etwas essen bevor wir weitersuchen ? << >> Ja. >> Weimar nickte kurz und führte den Jungen in sein Haus, das hinter dem Garten lag. Als auch Jarus eintrat fühlte er sich in dieser neuen Welt noch fremder.
Um sich selbst drehend durchquerte er einen Gang der mit Teppichen ausgelegt war. Die hölzerne Kommode an einer der Wände hielt er für einen toten Baum und der Spiegel hatte ihn fast durchdrehen lassen. Mehrere Minuten hatte Weimar ihm erklären müssen um was es sich dabei handelte da Crai sonst keinen Schritt mehr vor den anderen getan hätte.
Als sie in der kleinen Küche angekommen waren verzichtete Fenrich auf Geschirr, da es sonst wieder zu Diskussionen gekommen wäre. So entnahm er einer kleinen Holzschale zwei Äpfel und hielt sie Jarus hin, der nach einer genauer Überprüfung gemächlich anfing in einen dieser hinein zu beissen. Er kannte diese Nahrung nicht und musste sich erst an den neuartigen Geschmack gewöhnen.
>> Was ist denn das ? << fragte Crai und deutete auf ein gilbes Blatt Papier, das an die Wand genagelt war und mit Farben und Mustern irgendwie an eine Höhlenmalerei erinnerte. >> Das nennt sich Wandkalender. << bedeutete Fenrich, als er wieder einmal den Kopf schüttelte. Seine Gedanken rasten hin und her und versuchten Zusammenhänge zu erfassen, die in Verbindung mit dem plötzlichen Auftauchen des Jungen standen, der sich so ganz anders verhielt, als es für Kinder in seinem Alter der Fall gewesen wäre. Überhaupt war fraglich, ob sich der Junge so in die derzeitige Gesellschaft integrieren konnte.
Nach längerem Nachdenken fasste er einen Entschluss, der für ihn möglicherweise ein Risiko darstellte, ihm aber ermöglichte etwas dieser Welt zu hinterlassen. Seine Frau war vor mehreren Jahren am Kindbettfieber gestorben. Das Kind war ebenfalls kurz nach der Geburt gestorben. Noch immer steckte die Trauer tief in ihm, doch konnte er seine Gefühle durch seine Musik ausdrücken und ihnen dadurch einen Weg nach draußen ermöglichen.